Weltweit haben Marketing-Fachleute (ganz unterschiedliche) Meinungen über den neuen Calvin Klein Commercial mit Jeremy Allen White (hier unten).
Die Reaktionen sind sowohl positiv als auch negativ und einige sind, sagen wir mal, besonders aufgeregt. Viele sehen den Clip als eine charakteristische Kampagne für Calvin Klein, in der immer bekannte Personen eingesetzt werden. Andere teilen mit, dass sie bereits auf dem Weg sind die Unterwäsche zu kaufen.
Daneben gibt es aber auch die, die eher zweifeln, ob dies eine gute Werbekampagne sei und ob sie als ein Klassiker in die "Marketing-Geschichtsbücher" einziehen wird.
Und dann gibt es auch noch diejenigen, die weniger darüber sprechen, ob es ein guter oder schlechter Werbespot ist. Sie schätzen, was sie sehen. Eine Meinung, die auch einige von uns hier im Büro teilen.
Wie aus den Kommentaren hervorgeht, ist es eine Geschmacksfrage, ob jemand den Werbespot gut oder schlecht findet. Da jedoch Millionen für diese Kampagne investiert wurden, können wir uns vorstellen, dass Calvin Klein gerne einen Umsatzboost sehen würde.
Um den Umsatz zu steigern, muss eine Werbung bzw. Kampagne effektiv sein. Das heißt in neurologischen Begriffen, dass mehr positive als negative Emotionen ausgelöst werden müssen. Dies soll letztendlich zu einer Verhaltensabsicht führen: in diesem Fall, etwas kaufen wollen oder die Marke besser wertschätzen. Für Ersteres muss das Belohnungssystem aktiviert werden. Für Letzteres benötigt man einen ansprechenden Werbespot; die Konsumenten müssen mit der Marke eine Bindung haben oder eingehen.
Wer diese Absicht im Voraus sicherstellen möchte, muss einen solchen Werbespot (im Pretest) testen. Wir testeten diesen Spot, indem wir die Auswirkungen im Gehirn mittels der fMRT-Forschung gemessen haben.
Mit den Hirnscans der fMRT-Forschung messen wir ca. 70 Mal pro Minute die Emotionen, die bewusst, aber vor allem unbewusst durch den Werbespot ausgelöst werden. So messen wir Lust, Verlangen, Erwartung, Vertrauen und Wert. Aber auch Angst, Gefahr, Wut und Abneigung. Die Kombination all dieser Emotionen bestimmt, ob der Konsument ein Verhalten ausführt oder nicht. Ob er etwas ansprechend findet oder nicht. Und letztendlich, ob der Werbespot gut ist oder nicht.
Um die fMRT-Ergebnisse zu erklären - also das "Warum" - haben wir nach Abschluss der Hirnscans zusätzlich eine qualitative Online-Umfrage durchgeführt.
Die fMRT-Ergebnisse: Eine aufregende Calvin Klein Werbung, oder etwa nicht?
Im Quadrant (oben) sehen wir eine Kombination der Ergebnisse aus der fMRT-Untersuchung. Auf der Y-Achse befindet sich das Verhältnis von positiven zu negativen Emotionen. Auf der X-Achse wird das Maß an Engagement dargestellt, wobei höhere Werte für Beteiligung weiter rechts abgebildet werden. Ein Resultat im Quadranten rechts oben ist also optimal: mehr positive als negative Emotionen und ein überdurchschnittliches Engagement.
Wie zu sehen ist, erzielt der Calvin Klein Werbespot ein Ergebnis unten links im Quadranten. Dies bedeutet, dass der Werbespot mehr negative als positive Emotionen hervorruft. Und daneben auch nur unterdurchschnittlich punktet beim Engagement. Wie die Resultate zustande kommen, erklären wir hier.
Sehr viel Aufmerksamkeit, aber wofür genau?
Die oben gezeigte Spider-Graphik zeigt die Bewertung des Werbespots in Bezug auf 13 für das Konsumentenverhalten relevante Emotionen und Dimensionen. Es fällt auf, dass die Werbung viel Aufmerksamkeit (Attention) aktiviert. Welche Elemente genau Aufmerksamkeit erregen, haben wir in unserer Online-Umfrage hinterfragt. Dabei nutzen wir einen psychologischen Trick. Wir fragen nämlich danach, was andere Menschen denken. Menschen sind nämlich besser darin, das Verhalten anderer vorherzusagen als ihr eigenes.
Wie wahrscheinlich erwartet, zieht der attraktive Mann die Aufmerksamkeit auf sich mit seinem muskulösen Körper, unterstützt wird dies durch die (für Niederländer) vertraute Musik und die wunderschönen Bilder von New York. Die Zeitleiste unten zeigt, welche Bilder in der Werbung für die meiste Aufmerksamkeit sorgen.
Die fehlende Marke und Kontext sorgen für Unklarheit
Neben der Aufmerksamkeit, die durch Jeremy, die Musik und New York erregt wird, löst die Werbung auch viel Angst (Fear) aus - ein Ausdruck von Unklarheit. Woher diese Unklarheit stammt, haben wir wieder durch das Online-Panel ausgefragt.
Es gibt verschiedene Momente im Werbespot, in denen Unklarheit verursacht wird. Zu Beginn zieht der Schauspieler seine Kleidung aus, aber es ist für den Zuschauer nicht klar, warum er dies tut. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Verknüpfung zur Marke fehlt. Menschen fragen sich zum Beispiel:
"Warum zum Teufel sollte man in Unterwäsche trainieren?"
Wenn um etwa 15 Sekunden auf das Gesicht von Jeremy gezoomt wird, fragen sich die Menschen, warum er so schaut und auch die Musik passt nicht mehr zu den Bildern:
"Warum so ein merkwürdiger Gesichtsausdruck in einem Werbespot?"
"Ich habe den ganzen Werbespot vergessen, und die Sängerin singt über Jungs. Das Lied handelt jedoch nicht von Jungs und Sex. Lied und Video passen nicht mehr zusammen."
Der fehlende Kontext
Die Unklarheit resultiert auch aus dem Fehlen des Kontexts. Da für viele nicht klar ist, um welche Marke es sich handelt, werden die Handlungen des Schauspielers nicht gut verstanden:
"Was wollen sie zeigen... Stadt, Bank, Socken?"
"Unklar, welche Marke"
"Man muss schon genau hinschauen, um zu verstehen, worum es in diesem Werbespot geht."
"Ich habe ein wenig den Faden verloren, was sie genau vermitteln wollen, und es wird nicht besser."
Durch den fehlenden Kontext, ist der Zuschauer genervt von dem nackten (Astral-)Körper
Die Werbung ruft auch Irritation/Ärger (Anger) hervor. Wie kann ein straff-trainierter Körper Irritation auslösen, mag man sich vielleicht fragen? Das kann durchaus passieren, besonders wenn es nicht in den Kontext gesetzt wird, wie durch eine klare Kommunikation der Marke. Und genau das ist auch hier der Fall. Das Ausziehen des Hemdes - das Zeigen des Körpers - wird als "übertrieben" empfunden. Auch der verführerische (oder aufdringliche?) Blick wird nicht gut bewertet:
"Scheint so übertrieben. Jemand, der seinen Körper zeigen will."
"Ausziehen, Geschlechtsteil klar sichtbar durch Unterwäsche."
"Nervig, denn der Junge scheint jetzt nicht mehr so gut auszusehen."
"Dieser Blick."
Unglaublich, aber wahr: ein durchtrainierter Körper funktioniert nicht immer
Die letzte negative Emotion, die ausgelöst wird, ist Abscheu/Ekel (Disgust). Dies liegt an der Kombination aus dem (fast) nackten Körper, dem verführerischen Blick (bei 15 Sekunden) und den unlogischen Orten, an denen die Szenen stattfinden. Dies geschieht erneut aufgrund des fehlenden Kontext; der Zuschauer weiß nicht, wohin die Geschichte führt. Der Schauspieler zieht sich aus, aber warum? Der Grund bleibt unklar.
Die Zuschauer sehen auch, wie der Schauspieler am Ende seine Hose wieder anzieht, aber das Logo von Calvin Klein fehlt. So bleibt auch das Ziel der Werbung unklar und es entsteht Abneigung. Hier sind einige Antworten aus der Online-Studie:
"Okay, müssen wir das wirklich alles sehen?"
"Nicht sehr attraktiv, einen Mann ständig in seiner Unterhose herumlaufen zu sehen."
"Warum ein entkleideter Mann in der Werbung."
"Macht überhaupt keinen Sinn, jemanden in seiner Unterhose in den Himmel greifen/ sich im Freien strecken zu sehen."
"Mann mit merkwürdigem Gesichtsausdruck, der auf einen zukommt. Angsteinflößend!"
"Intensiv, nervig und unklar, denn ich weiß nicht, von wem diese Werbung ist, die ich gerade anschaue."
Auch überraschend: Der leicht-bekleidete Jeremy aktiviert fast kein Verlangen
Und hier kommen wir gleich zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Die Werbung (und Jeremy) schafft es so gut wie gar nicht, Verlangen (Desire) zu wecken, was seltsam ist, wenn man sich ansieht, wie spärlich gekleidet Jeremy ist. Möchten wir ein Produkt verkaufen, ist Verlangen eine wichtige Emotion, die absolut geweckt werden muss.
Der Grund dafür, dass die Werbung kaum Verlangen weckt, liegt im Fehlen einer klaren Geschichte. Für den Zuschauer ist lange Zeit nicht klar, wer der Absender ist und wohin die Geschichte führt. Der Schauspieler zieht sich aus, schaut verführerisch in die Kamera, macht einige Übungen auf einem Dach und lässt sich auf einer Bank nieder. Diese Szenen wirken zu willkürlich, sodass es für die Zuschauer schwer ist, sich gut einzufühlen und mit dem Spot zu identifizieren, somit entsteht nur wenig Verlangen.
Die Werbung aktiviert relativ wenig Dopamin
Daneben zeigen die Ergebnisse, dass ein nur begrenzt belohnendes Gefühl (Value) erzeugt wird. Ein (belohnendes) Gefühl von Wert ist einer der Auslöser für die Freisetzung von Dopamin, was ein bestimmtes Verhalten aktiviert: finde ich attraktiv, möchte ich haben, werde ich tun. Zumindest ist der Executive Creative Director aus den oben genannten LinkedIn-Kommentaren aufgebrochen, um sofort Unterwäsche zu kaufen, oder etwa nicht? Denn was wir sagen, entspricht oft nicht dem, was wir tun.
Warum die Werbung relativ schlecht darin ist, ein Gefühl der Belohnung zu erzeugen, liegt erneut an der unklaren Botschaft. Die Zuschauer teilen mit:
"Man versteht nicht, was man sieht. Es hat keine Moral oder Standpunkt. Wenn man erklären muss, was gemeint ist, fängt man an zu spekulieren, anstatt es sofort zu verstehen."
"Es gibt keine (klare) Geschichte, es ist unklar, was die Idee ist."
Aber der Spot sorgt doch für Markenbekanntheit, oder?
"Okay, okay, vielleicht nicht optimal für den Verkauf, aber der Werbespot trägt doch sicherlich zur Markenbekanntheit bei?", hören wir viele Marketers sagen, die Calvin Klein zweifellos selbst kennen. Auch das ist enttäuschend; nur 48% der Befragten können spontan korrekt angeben, dass Calvin Klein der Absender der Werbung ist. Und das, während unsere Benchmark für spontane Markenverknüpfung bei 91% liegt.
Auch bei der "richtigen" Botschaft des Werbespots sind sich die Zuschauer uneinig. Es ist dennoch interessant zu sehen, dass, sollte die Botschaft von Calvin Klein sein, dass die Unterhosen beim Bewegen gut sitzen, dies auch durch den Werbespot vermittelt wurde. Die Werbung vermittelt angeblich auch, dass die Boxer Shorts einen Mann sexy machen. Das ist doch zumindest etwas.
Doch wer hat zu Hause die (Unter-)Hose an?
Die Ergebnisse stammen aus der Stichprobe des "durchschnittlichen Niederlanders". Vielleicht denken Sie: "Ja, ich glaube schon, dass Männer hier negativ reagieren, aber Frauen sicherlich nicht, oder?" Ein berechtigter Einwand, aber die Frage lautet dann: Für wen ist diese Werbung gedacht? Eine kurze Online-Recherche bestätigt die Annahme, dass Frauen oft die Unterwäsche für ihren Sohn, Ehemann oder Freund kaufen. Tatsächlich kaufen immer mehr Frauen sogar Männerunterwäsche für sich selbst (angenehm warm und bequem).
Daher haben wir eine Split auf Basis von Geschlecht vorgenommen. Die Grafik (unten) zeigt den Unterschied zwischen Männern (blau) und Frauen (grün). Und ja, die Werbung aktiviert bei Frauen ein signifikant besseres Gleichgewicht von Emotionen. Sie löst sowohl stärkere positive Emotionen aus: Lust und Verlangen (das müssen wir wohl nicht erklären, oder?), als auch weniger negative Emotionen. Die Werbung ruft bei Männern mehr Angst/Unklarheit hervor (machen sie sich Sorgen?). Aber trotzdem werden die positiven Emotionen bei Frauen nur durchschnittlich aktiviert. Und noch schlimmer: Die negativen Emotionen werden auch bei Frauen stärker als durchschnittlich aktiviert.
Auch diese Ergebnisse bestätigen also, dass die Werbung sicherlich noch verbessert werden kann. Es ist übrigens bemerkenswert zu sehen, dass die Beteiligung (Involvement) unter Männern tatsächlich signifikant höher ist als bei Frauen. Sind Männer also doch die Zielgruppe? Die Unterwäscheverkäufer werden sicherlich eine interessante Antwort darauf haben. Unsere vorläufige Empfehlung: Versuchen Sie mit Ihrer Werbung möglichst viele Käufer zu erreichen, sowohl Männer als auch Frauen.
Fazit und Empfehlung
Dass der Werbespot in Bezug auf die Anzahl der Aufrufe und Reaktionen erfolgreich ist, ist keine Frage mehr. Und all diese Aufmerksamkeit wird höchstwahrscheinlich zu mehr Verkäufen führen. Allerdings hätte der Spot selbst durchaus besser bewertet werden können.
Ein Werbespot wie dieser - teuer und international - verdient es, auf Konzeptebene getestet zu werden. Mit einer fMRT-Studie wären die oben genannten Ergebnisse bereits in einem frühen Stadium aufgezeigt worden. Selbst eine Umfrage hätte gezeigt, dass vieles verbessert werden müsste, wenn nicht sogar verändert werden sollte, wie unsere Online-Studie zeigt. Aber gut, dafür ist es jetzt zu spät.
Die Markenverknüpfung mit Calvin Klein hätte gleich zu Beginn des Werbespots hergestellt werden sollen. Das hätte die Geschichte in den Kontext gesetzt und die Effektivität verbessern können. Zweifellos würden dadurch die aktivierten negativen Emotionen abnehmen und das Verlangen und anschließend der Wert zunehmen.
Aber die wichtigste Lektion ist, dass Werbung gewöhnliche Dinge außergewöhnlich machen soll und nicht außergewöhnliche Dinge einfach.
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